Nielen, Jochen: Das Leitbild des Laisser-faire in der Politischen Ökonomie von Smith bis Keynes, dargestellt anhand der Hauptwerke von Smith, Malthus, Ricardo, Mill, Marshall und Keynes. - Bonn, 2000. - Dissertation, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
Online-Ausgabe in bonndoc: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:5-02262
@phdthesis{handle:20.500.11811/1668,
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title = {Das Leitbild des Laisser-faire in der Politischen Ökonomie von Smith bis Keynes, dargestellt anhand der Hauptwerke von Smith, Malthus, Ricardo, Mill, Marshall und Keynes},
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year = 2000,
note = {Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft war und ist ein wichtiges Thema in der Entwicklung der ökonomischen Lehrmeinungen. Das Leitbild des Laisser-faire ist dabei ein zentraler Begriff in dieser Diskussion, die hier anhand der englischen Theoretiker der "Political Economy" untersucht wird. Die ausgewählten Autoren wurden allesamt sehr stark durch die spezifische Form der Theorie geprägt, die von Adam Smith begründet wurde und die seitdem als klassisch/neo-klassisch bezeichnet wird. Dies gilt auch noch für Keynes, der gegen wichtige Elemente dieser Theorie ankämpfte.
Die klassisch/neoklassische Theorie wird als ein Paradigma im Sinne Kuhns aufgefasst, von dem "Laisser-faire" ein wichtiger Teil war. Die Auswahl der Autoren beruht zum einen auf der Tatsache, dass sie die führenden Vertreter der englischen "Political Economy" waren. England war im 19. Jahrhundert die weltweit führende Wirtschaftsmacht, so dass auch die englischen Ökonomen großen Einfluss hatten. Das wirkt bis heute nach, weil die Lehren von Keynes anschließend die ökonomische Theoriediskussion in den USA dominierten, als diese Englands führende Rolle als Wirt-schafts-nation übernahmen. Zum anderen wurden diese Autoren ausgewählt, weil sie alle ein "Lehrbuch" verfasst haben, dass den theoretischen Diskussionen der Folgezeit einen Rahmen gab. Die Existenz solcher Lehrbücher ist nach Kuhn eine wichtige Voraussetzung für die Ausprägung eines Paradigmas, das also in diesem Falle die untersuchten Denker ebenso stark geprägt hat, wie seine Weiterentwicklung von ihnen geprägt wurde.
Der Blickwinkel der Untersuchung bezieht den methodischen und philosophisch-weltanschaulichen Ansatz der Autoren mit ein, während die reine ökonomische Theorie lediglich so weit berücksichtigt wurde, wie es bei der Diskussion der Ansichten zum Laisser-faire nötig war. Die Autoren wurden jeweils in einem eigenen Kapitel behandelt, mit Ausnahme von Ricardo und Malthus, deren Ideen in so engem Wechselspiel entstanden sind, dass sich hier ein Doppelkapitel anbot.
Adam Smith gab mit seinem "Wealth of Nations" den großen Rahmen der ökonomischen Diskussion für lange Zeit vor, insbesondere für die hier untersuchte Traditionslinie der Ökonomie. Dementsprechend wurde seine Behandlung des Laisser-faire besonders eingehend untersucht. In der Forschung herrscht inzwischen Einigkeit, dass gerade der Moralphilosoph Smith seine Wirtschaftstheorie in ein umfassendes philosophisches und letztlich religiöses System einbettete. Sein Denken basierte auf dem Weltbild der Aufklärung, in dem die Welt als "göttliches Uhrwerk" erschien. Die Menschen besaßen trotzdem durchaus die Freiheit, sich moralisch richtig oder falsch zu entscheiden. Durch inhärente Mechanismen wurden aber diejenigen, die sich falsch und damit gegen das göttliche System verhielten, im Sinne des Ganzen eingebunden. In wirtschaftlicher Hinsicht war dies die berühmte "unsichtbare Hand". In einer optimalen Welt, in der sich alle (moralisch) richtig verhielten, waren staatliche Eingriffe völlig unnötig. In der Realität jedoch sah Smith einige wichtige Ansatzpunkte für ein positives staatliches Handeln, obwohl er die zahlreichen dirigistischen Maßnahmen der damaligen merkantilistischen Wirtschaftspolitik heftig ablehnte.
Thomas Malthus und David Ricardo führten die von Smith geprägte ökonomische Debatte mit unterschiedlichen Schwerpunkten, aber in sehr intensiver Diskussion weiter. Für Malthus war dabei der bevölkerungstheoretische Ansatz zentral, der bis heute mit seinem Namen verbunden ist. Er war eher an der praktischen Umsetzung ökonomischer Theorien interessiert. Ricardo dagegen konzentrierte sich auf die Weiterentwicklung und Perfektionierung der "reinen" Theorie, ohne jedoch die Praxis dabei jemals aus dem Auge zu verlieren. Anhand ihrer Behandlung der "poor laws" und der "corn laws", die die damaligen wirtschaftspolitischen Diskussionen bestimmten, wird gezeigt, dass sie den Einfluss des Staates auf die Wirtschaft für sehr problematisch, aber letztlich unvermeidbar hielten. Bei Ricardo war die Skepsis gegenüber staatlichen Eingriffen wesentlich stärker als bei Malthus, aber beide sahen sie teilweise als notwendig und hilfreich. Weiterhin wurde ihre Debatte über das Saysche Theorem, nach dem sich jedes Angebot seine Nachfrage selbst schaffe, untersucht. Malthus leugnete dessen Geltung und sah dementsprechend einen Ansatzpunkt für staatliche Maßnahmen gegen Wirtschaftskrisen, konnte sich aber im Rahmen seiner klassischen Annahmen nicht gegen die stringente Logik Ricardos durchsetzen, nach der ein Nachfragemangel unmöglich erschien; dies gelang erst Keynes wesentlich später.
John Stuart Mill war ein Gelehrter auf sehr vielen Gebieten. Betrachtet wurden hier seine Schriften zum wirtschaftlichen und politischen Liberalismus. Die politische Freiheit des Einzelnen hielt Mill für ein natürliches Recht des Menschen, das eine absolute Geltung beanspruchen konnte, solange dadurch nicht die politische Freiheit anderer eingeschränkt wurde. In wirtschaftlicher Hinsicht hingegen hatte das Laisser-faire-Prinzip nicht den Rang eines natürlichen Rechtes, trotzdem jedoch einen sehr hohen Stellenwert. Die Begründung dafür war, dass Einschränkungen des Laisser-faire häufig ökonomisch kontraproduktive und schädliche Ergebnisse hatten. In den meisten Fällen waren Staatseingriffe daher abzulehnen. Trotz dieser grundsätzlichen Überzeugung schrieb Mill dem Staat einen deutlichen größeren Bereich der legitimen und nützlichen Betätigung zu, als dass noch Malthus und Ricardo getan hatten. Dies zeigte sich an Mills Ansichten zu den Gewerkschaften, zur Bekämpfung der Armut oder auch zum Kommunismus. Staatliche Aktivitäten sollten jedoch stets so angelegt werden, dass sie die freie Initiative des Einzelnen förderten und keinesfalls einschränkten oder behinderten.
Alfred Marshall fasste die neuen Ansätze der neoklassischen Theorieschule in seinen "Principles of Economics" zusammen und trug mit diesem Lehrbuch entscheidend zu ihrer Durchsetzung bei. Die Neoklassik beschäftigte richtete sich vornehmlich mit der Verteilung gegebener Ressourcen, während sich die Klassik vorher eher für die Voraussetzungen und Probleme einer wachsenden, dynamischen Wirtschaft interessiert hatte. Die Neoklassik erzielte ihre besten Ergebnisse in der mikroökonomischen Analyse, die sich sehr gut für die Anwendung mathematischer Methoden eignete, wie sie damals aus der Physik übernommen wurden. Marshalls Wirken als Universitätslehrer in Cambridge war darauf gerichtet, mit Hilfe eines von ihm neu geschaffenen Studium der "Economics" zahlreiche professionelle Ökonomen auszubilden, die ihr theoretisches Wissen anschließend in der Praxis zum Wohle der Allgemeinheit anwenden sollten. Auch zu dieser Professionalierung der Ökonomie trugen die verwendeten mathematischen Methoden bei, wobei allerdings die philosophischen und ethischen Grundlagen bei Marshalls Schülern und Nachfolgern einen immer geringeren Stellenwert einnahmen. Ebenso wie Mill vor ihm, war Marshall zwar grundsätzlich skeptisch gegenüber staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft, wie sich zum Beispiel an seinen Beiträge zur Debatte über Protektionismus und Freihandel zeigte. Aber aufgrund des politischen und wirtschaftlichen Fortschrittes ergaben sich trotzdem zunehmend neue und wichtige Aufgaben für den Staat gerade auch in der Wirtschaftspolitik, um die schlimmsten Missstände einer im Allgemeinen vorteilhaften freien Wirtschaft zu mildern.
John Maynard Keynes war der berühmteste Schüler, den Marshall in Cambridge ausgebildet hat. Wie sich in der neueren Forschung zunehmend herauskristallisiert, war Keynes in vieler Hinsicht durch Marshalls Denken geprägt. Obwohl er die klassisch/neoklassische Lehre in vielen fundamentalen Punkten angriff, gab es doch eine wesentlich größere Kontinuität als früher angenommen worden ist. Mit der Weltwirtschaftskrise stellte sich jedoch ein gesamtwirtschaftliches Problem, das die neoklassische Theorie mit ihrer mikroökonomischen Ausrichtung nicht lösen konnte. Keynes betonte demgegenüber die Wichtigkeit eines makroökonomischen Ansatzes, um optimalerweise Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit von vornherein verhindern zu können. Im Rahmen seines Gesamtkonzeptes nahmen die Maßnahmen der Milderung einer akuten Krise einen relativ geringen Stellenwert ein. Insofern besteht also ein deutlicher Unterschied zwischen der "Theorie von Keynes" und der "keynesianischen Theorie", denn die "Keynesianer" betonten gerade staatliche Ausgaben- und Beschäftigungsprogramme, die für Keynes nur Notlösungen gewesen waren.
Keynes' Ansichten über den Sinn und das Ziel der Wirtschaft waren stark klassisch geprägt. Seine radikalen Vorschläge bis hin zu einer staatlichen Investitionslenkung erscheinen vor diesem Hintergrund als Versuche, durch Interventionen an den Punkten, an denen Laisser-faire seiner Analyse nach nicht funktioniere, eine ansonsten möglichst freie und liberale Wirtschaft zu erhalten, die vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise in ihrer Existenz akut gefährdet schien. Ob Keynes' fundamentale Kritik letztlich berechtigt war oder nicht, ist in der Ökonomie immer noch nicht abschließend geklärt.
Zusammenfassend zeigen sich deutlich einige Hauptergebnisse dieser Untersuchung: Das Laisser-faire-Prinzip ist von keinem der führenden Vertreter der "Political Economy" als absolut angesehen worden. Laisser-faire war für sie niemals ein Ziel an sich, sondern stets nur ein Mittel, um damit die eigentlichen (philosophisch und weltanschaulich definierten) Ziele besser zu erreichen: Eine freie, nach dem Wettbewerbsprinzip organisierte (Markt-) Wirtschaft ist sehr effizient und somit gut geeignet, um wirtschaftliches Wachstum und materiellen Wohlstand zu erreichen, die als notwendige Voraussetzung eines 'guten Lebens' für möglichst viele Menschen erschienen. Abweichungen vom Laisser-faire waren in dem Moment gerechtfertigt, wo dieses Ziel damit besser zu erreichen war. Ein weiteres Ergebnis besteht in der Feststellung, dass alle Autoren im Spannungsfeld zwischen 'reiner' Theorie und praktischer Anwendbarkeit einen Mittelweg befolgten, wenn auch jeweils mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen.},

url = {https://hdl.handle.net/20.500.11811/1668}
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