Weber, Stephan: Der latènezeitliche Siedlungsplatz Jüchen-Neuholz. - Bonn, 2019. - Dissertation, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
Online-Ausgabe in bonndoc: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:5-53348
@phdthesis{handle:20.500.11811/8131,
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title = {Der latènezeitliche Siedlungsplatz Jüchen-Neuholz},
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year = 2019,
month = jan,

note = {Der am nördlichen Ortsrand von Hochneukirch in der Gemeinde Jüchen, Rhein-Kreis Neuss gelegene Fundplatz von Jüchen-Neuholz, wurde infolge des Planungsverfahrens zur Umsiedlung der vom Braunkohletagebau Garzweiler II betroffenen Ortschaften Holz, Otzenrath und Spenrath durch sukzessive Grabungskampagnen des LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland über einen Zeitraum von über zehn Jahren auf einer Gesamtfläche von etwa 8,5 ha archäologisch untersucht und dokumentiert. Auf dem bis zum Beginn der Grabungstätigkeiten im Jahre 1997 ausschließlich landwirtschaftlich genutzten Areal, fanden sich neben einer bereits prospektierten villa rustica des 1. bis 4. Jahrhunderts eine unmittelbar östlich angrenzende früh- und spätlatènezeitliche Vorgängersiedlung von mindestens 3,5 ha Fläche, sowie ein nördlich gelegenes, knapp 0,3 ha großes "elbgermanisches" Einzelgehöft aus mittelaugusteischer Zeit.
Geographisch befindet sich der Fundplatz am unmittelbaren Übergang von der oberen zur unteren Mittelterrasse der Niederrheinischen Bucht, ca. 15 km südwestlich von Neuss und 10 km südlich von Mönchengladbach. Topographisch liegt das vorgeschichtliche und römische Siedlungsareal auf einer leicht exponierten Kuppe, am östlichen Rand eines etwa 10 m hohen Nordwest-Südost verlaufenden Geländerückens. Entsprechend der geomorphologischen Situation des Geländes, konzentrierten sich die aufgedeckten Siedlungsbefunde in einem etwa 75 m breiten und 180 m langen Streifen parallel der Nordwest-Südost verlaufenden Geländekante. Die Siedlungsgrenzen konnten somit im Osten und Westen klar erfasst werden. Diffus ist die nordwestliche Begrenzung, wo lediglich ein Ausdünnen der Befunde auf eine mögliche Bebauungsgrenze hinweist. Die südliche Siedlungsgrenze konnte dagegen aufgrund moderner Überbauung nicht erfasst werden.
Trotz landwirtschaftlicher und erosionsbedingter Substanzverluste konnten insgesamt 1452 Befunde erkannt und bearbeitet werden, von denen 997 als anthropogene Zeugnisse einer früh- und spätlatènezeitlichen Siedlung angesprochen werden können. Innerhalb des Befundspektrums dominieren die Pfostengruben, gefolgt von den multifunktionalen Siedlungsgruben, den Vorrats-/Kellergruben und Materialentnahmegruben sowie drei Brunnen und zwei Feuerstellen.
Von den insgesamt 997 anthropogen latènezeitlichen Befunden in Jüchen-Neuholz, Rhein-Kreis Neuss, enthielten lediglich 279 Befunde (30,4%) datierendes gefäßkeramisches Fundmaterial. Bei wiederum 142 dieser 279 Befunde (46,7%) handelte es sich bei der geborgenen Keramik jedoch ausschließlich um einfache Wandscherben handaufgebauter Gefäße, die lediglich eine allgemein latènezeitliche Befunddatierung ermöglichen. Von den verbleibenden 137 funddatierten Befunden enthielten wiederum lediglich 15 Befunde (10,95%) zweifelsfrei spätlatènezeitliches Keramikmaterial der Stufe LtD1, wohingegen die übrigen 122 Befunde (89,05%) ausnahmslos in die Frühlatènezeit der Stufen LtA/B datieren.
Wie die anhand eines neu entwickelten Klassifikationsmodels vorgenommene morphologische und materialtechnische Analyse der Gefäßkeramik zeigen konnte, besaß die dort lebende Bevölkerung intensive Kontakte zur AMK sowie zur HEK. Dies spiegelt sich nicht nur in der Qualität und Quantität der aus diesen Regionen importierten Gefäßen wider, sondern vor allem durch die Imitationen derselben vor Ort. Darüber hinaus zeigte sich für einer Vielzahl der definierten Gefäßtypen, dass der Einfluss der AMK – und dies gilt mit Ausnahme der Köln- Bonner-Bucht für den Großteil der Niederrheinischen Bucht – sich nicht nur in den leicht zu identifizierenden scharfprofilierten Schüsseln und Töpfen manifestiert, sondern vor allem auch in der einfachen Gebrauchskeramik wie den Schalen und Fässern. Die in den letzten Jahrzehnten ergänzend zu den bereits altbekannten Gräberfeldern der AMK verstärkt publizierten Siedlungsgrabungen aus der Region Champagne sowie den Ardennen zeigen deutlich, dass das dortige Gefäßspektrum große typologische Übereinstimmungen mit dem der Niederrheinischen Bucht aufweist. Im Gegensatz zu den Gefäßkeramiken aus den zeitgleichen Gräberfeldern, bei denen es sich in erster Linie um die leicht identifizierbaren "gobelets bzw. vases carénés" handelt, finden sich dort ebenfalls mehrheitlich die einfachen ein- bis zweigliedrigen Schalen und Fässer und somit eben jene Gefäßtypen, die in der Niederrheinischen Bucht aufgrund der unterrepräsentierten Gräberfelder bereits ab der Frühlatènezeit die dominierenden Gefäßformen darstellen. Darüber hinaus offenbaren die aufgefundenen Importgefäße, dass die Siedlung von Jüchen-Neuholz, Rhein-Kreis Neuss in ihrer Frühphase intensivere wirtschaftlich-kulturelle Beziehungen zur westlichen AMK aufweist, wohingegen der Einfluss der südlichen HEK kontinuierlich zuzunehmen und gegen Ende der zweiten, konsolidierenden Siedlungsphase diese gänzlich zu verdrängen scheint.
Gegenüber der Keramik, die 99,33% des Fundmaterials ausmacht, treten die metallenen Fundstücke mit 0,18%, die Glasobjekte mit 0,03% und die Steinartefakte mit 0,46% deutlich zurück. Trotz ihrer geringen quantitativen Anteile belegen vor allem die importierten Glasobjekte, der frühlatènezeitliche Glasringanhänger Fnr. 872 und die beiden mittel- bis spätlatènzeitlichen Glasarmringe Fnr. 137 und Fnr. 369 sowie die Mahlsteine aus Mayener Basaltlava und nicht zuletzt die Briquetage die kontinuierliche Einbindung der Siedlung in das weitläufige Handels- und Warendistributionsnetz der Latènezeit.
Von den insgesamt 842 Pfostengruben konnten anhand vergleichbarer Dimensionen und Fluchten insgesamt 58 Hausgrundrisse rekonstruiert und in das modifizierte Gebäudegrundrissschema von SIMONS eingefügt werden. Ungeachtet seiner differenzierten typologischen Zusammensetzung, entspricht die nominale wie prozentuale Verteilung der Grundformen des Gebäudespektrums von Jüchen-Neuholz, Rhein-Kreis Neuss weitestgehend dem vergleichbarer Siedlungsplätze der Niederrheinischen Bucht. Mit 26 Nachweisen dominieren die 4-Pfostenbaut- en, vor den 6-Pfostenbauten mit 15 Exemplaren. Mit großem Abstand folgen die 9-Pfostenbauten mit fünf und die 12-Pfostenbauten mit vier Exemplaren, vor den 8-Pfostenbauten mit drei und den 10-Pfostenbauten mit zwei Exemplaren. Lediglich einmal nachgewiesen sind die 13-Pfostenbauten, sowie zwei Sonderformen, zum einen der 3-Pfostenbau Typ 9 und zum anderen der 4-Pfostenbau Typ 10, die funktional beide als Rutenberg bzw. Harpfe/Kozolec angesprochen werden können. Aufgrund der guten Befunderhaltung war es erstmals für die Niederrheinische Bucht möglich nicht nur den Typenbestand der latènezeitlichen Hauslandschaft zu erweitern, sondern damit einhergehend jene "Großbauten" in größerem Umfang zu ermitteln, die bislang innerhalb der Forschung so schmerzlich vermisst wurden. Diesbezüglich eröffnet vor allem der 10-Pfostenbau des Typ 6b neue Perspektiven in Bezug auf die Rekonstruktion der latènezeitlichen Hauslandschaft in der Niederrheinischen Bucht. So implizieren die Untersuchungen dieses Gebäudetyps, dass ein nicht näher einzugrenzender Teil der vielfach dokumentierten 6-Pfostenbauten des Typs 2a lediglich das erosionsbedingt erhaltene tiefgründende Innengerüst der Großbauten des Typs 6b verkörpert, wodurch es sich bei dem seit längerem postulierten Fehlen latènezeitlicher Großbauten in der Niederrheinischen Bucht offenbar um den momentanen Forschungsstand einer selektiven Befundüberlieferung zu handeln scheint, die bei entsprechend modifizierter Grabungstechnik in kurzer Zeit zu revidieren ist. Der typologisch und quantitativ umfangreiche Quellenbestand von 58 Gebäudegrundrissen ermöglichte es darüber hinaus statistische Aussagen über die Dimensionen, sowie nominale und prozentuale Zusammensetzung der einzelnen Gebäudetypen und deren Verteilung innerhalb einer großflächigen latènezeitlichen Offenlandsiedlung der Niederrheinische Bucht zu erarbeiten. So war es nicht nur möglich die rekonstruierten Gebäudegrundrisse anhand ihrer Grundflächen und Längen-Breiten-Indizes in insgesamt sechs klar getrennte Größenkategorien zu untergliedern, sondern diese zusammen mit ihren Konstruktionsmerkmalen darüber hinaus dem erweiterten Grundsatz SULLIVANs von "size follows form follows function" spezifischen Funktionen zuordnen. Entsprechend wurden die Grundrisse der Größenkategorie 1. und 2. als Speicher, die der Größenkategorie 3. als Wirtschafts- bzw. Stallgebäude und jene der Größenkategorien 4. bis 6. als Wohngebäude klassifiziert. Die Verteilung dieser als Speicher-, Wirtschafts- und Wohngebäude definierten Gebäudegrundrisse innerhalb des Siedlungsareals ermöglichte in Korrelation mit umliegenden Vorrats-/Kellergruben und Lehmentnahmegruben sowie umbauten und gliedernden Freiflächen die Rekonstruktion von insgesamt zwölf hypothetischen Hofarealen von ca. 0,3 ha Wirtschaftsfläche.
Anhand der Lageverteilung der Importe, allen voran der Gefäßkeramik aus dem Bereich der AMK sowie der HEK und der wenigen Glasobjekte, war es möglich einen plausiblen dreiphasigen Besiedlungsablauf für diese auf Subsistenzwirtschaft basierenden Siedlungsplatz zu rekonstruieren.
Demnach erfolgte die Aufsiedlung des Areals unter Berücksichtigung der topographischen Verhältnisse mit den Hof-/Wirtschaftsarealen I, III-V, VII, IX, X und XII, in drei durch Acker- bzw. Wirtschaftsflächen separierten Bereichen zu Beginn der Frühlatènezeit Stufe LtA. In der darauf folgenden Stufe LtB, erfolgte mit der baulichen Erschließung der siedlungsinternen Freiflächen durch die neugegründeten Hof-/Wirtschaftsareale II, VIII und XI eine Konsolidierungsphase, ehe die Mehrgehöftsiedlung gegen Ende der Frühlatènezeit nach Ausweis des Fund- und Befundmaterials planmäßig aufgelassen wurde. Nach einem hiatus während der Mittellatènezeit erfolgte zu Beginn der Spätlatènezeit eine Wiederbesiedlung des Fundplatzes in Form eines räumlich klar abgrenzbaren,isolierten Einzelgehöfts. Umfang und Zusammensetzung des geborgenen spätlatènezeitlichen Fundmaterials weisen dieses unbefestigte Einzelgehöft als kurzfristige Erscheinung der Stufe LtD aus, welches ebenfalls ohne nachweisbare äußere Gewalteinwirkung bereits während der Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. wieder planmäßig verlassen wurde.
Aufgrund fehlendender chronologischer, materieller, ethnisch-kultureller sowie stratigraphischer Überschneidungen mit dem nordwestlich gelegenen "augusteisch-elbgermanischen" Einzelgehöft respektive der im Westen gelegenen frührömischen "Protovilla", lässt sich demnach auch für den Siedlungsplatz von Jüchen-Neuholz, Rhein- Kreis Neuss ein hiatus von etwa zwei Generationen bis zur erneuten Wiederbesiedlung des Areals durch "elbgermanischen Siedler" in den Jahrzehnten um Christi Geburt konstatieren, womit die für diesen Fundplatz vermutete Siedlungskontinuität von der Spätlatène- zur Römischen Kaiserzeit anhand der Fund- und Befundlage nicht verifiziert werden kann.},

url = {https://hdl.handle.net/20.500.11811/8131}
}

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